"Patienten mit einem BMI über 40 oder gar über 50 sind todkrank"

Adipositasbehandlung ist keine Lifestyle-Medizin

Professor Andus und Dr. Meile

Dramatisch wird es bei extrem übergewichtigen Menschen urteilt Professor Andus: "Patienten mit einem BMI über 40 oder gar über 50 sind todkrank. Sie haben eine ebenso schlechte Lebenserwartung wie Menschen, die an Krebs erkranken oder mehrere Herzinfarkte hatten."

Die verschiedenen Möglichkeiten, die Adipositas zu behandeln, seien deshalb keine „Lifestyle-Medizin“, sondern notwendige medizinische Hilfe. Und das betrifft immer mehr Menschen. Im Großraum Stuttgart, in dem 5,3 Millionen Menschen leben, gelten statistisch bereits 1,4 Millionen als adipös, darunter rund 100.000 mit einem BMI über 40. Im Rahmen einer Doktorarbeit wurden jüngst direkte und indirekte Gesundheitskosten, einschließlich der Kosten für Krankheitstage und für sekundäre Erkrankungen, von rund 1.000 Euro pro Jahr ermittelt, die Adipositas pro Patient verursacht. Hochgerechnet auf die Zahl adipöser Menschen im Großraum Stuttgart ergibt das Kosten in Höhe von 1,4 Milliarden Euro – eine Summe die deutlich macht, wie wichtig das Thema auch ökonomisch heute schon ist.

Vor allem bei den extrem Übergewichtigen helfen oft nur noch die operativen Verfahren mit dauerhafter Magenverkleinerung. „Nach der Operation sind Hunger und Sättigungsgefühl verschoben“, sagt Dr. Meile. Die Patienten sind schon nach einer kleinen Essensportion satt. Wer trotzdem zu schnell und zu viel isst, wird zudem gleich mit Übelkeit und Erbrechen „bestraft“. „Psychologisch reagieren wir darauf sehr sensibel und sind beim nächsten Mal vorsichtig.“ Denn entwicklungsgeschichtlich ist diese Sensibilität bei Mensch und Tier gleichermaßen als Schutz angelegt vor Verdorbenem, Giftigem und Ungenießbarem.

Welche Behandlungsmethode für den Patienten mit Übergewicht jeweils die beste und geeignetste ist, wird im Adipositas-Zentrum des Klinikums Stuttgart nach einer Beratung mit Ärzten aller beteiligten Fachrichtungen besprochen und entschieden. Dazu wurde freitags eine spezielle Adipositas-Sprechstunde eingerichtet. Neben Chirurgen und Internisten gehören Ernährungsmediziner, Psychotherapeuten und Endokrinologen zum Behandlungsteam. Außerdem kooperiert das Zentrum auch mit der plastischen Chirurgie, weil bei vielen übergewichtigen Patienten nach dem Abnehmen meist eine sogenannte Bauchschürzen-Operation ansteht.

Damit kann das Adipositas-Zentrum des Klinikums Stuttgart das gesamte Behandlungsspektrum anbieten: von den konservativen Methoden wie dem Aquafit-Kurs im Mineralbad Berg mit Ernährungsberatung und dem Ernährungsprogramm Optifast über die endoskopischen Verfahren Magenballon und Endobarrier bis zum gesamtem Spektrum der chirurgischen Methoden. Mit einem speziellen Nachsorgeprogramm werden die Patienten überdies auch nach der Therapie weiter betreut.

Dabei können Adipositas-Zentrum und bariatrische Chirurgie in der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Krankenhaus Bad Cannstatt inzwischen auf drei Jahrzehnte Erfahrung zurückblicken. „Das zeigt sich auch im ausgezeichneten Komplikationsmanagement des gesamten Teams“, urteilt Dr. Meile. „Die erfahrenen Pflegekräfte auf den Stationen erkennen sofort, wenn bei einem frisch operierten Adipositas-Patienten etwas nicht stimmt.“ Gleiches gilt für die Mitarbeiter der Intensivstation. Endoskopiekapazitäten stehen ebenso rund um die Uhr zur Verfügung wie mehrere Chirurgen, die sich mit der Adipositaschirurgie auskennen. „All diese Ressourcen stellen sicher, dass Komplikationen, die sich leider nicht immer ausschließen lassen, frühzeitig erkannt und dann schnell und wirkungsvoll behandelt werden – bevor sie sich für den Patienten dramatisch auswirken.“

Aus: Klinikum live, Ausgabe 04|2014