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Von wegen Lungenentzündung

Bei Asya entpuppte sich eine Lungenentzündung als Karzinoid, ein sehr seltener Lungentumor, der oft risikoreiche OPs erfordert. Hochspezialisierte Experten des Klinikums Stuttgart konnten dem Mädchen diese dank schonender minimalinvasiver Kryochirurgie ersparen.

Ausgerechnet in den Weihnachtsferien 2018 / 2019 bei den Großeltern in Italien wurde Asya das erste Mal schwer krank. Die Ärzte diagnostizierten eine Lungenentzündung und verordneten der damals Achtjährigen Antibiotika. Doch das Medikament half nur vorübergehend.

In den folgenden Wochen und Monaten kam die Lungenentzündung immer wieder zurück. „Ich war mit Asya deshalb bei den verschiedensten Ärzten. Doch niemand konnte ihr wirklich helfen“, erinnert sich Mutter Angela. Schließlich wurde das Mädchen von den Ärzten der Ludwigsburger Kinderklinik, wo sie wegen ihrer immer wieder zurückkehrenden Lungenentzündung stationär behandelt worden war, zu Prof. Markus Rose in das Zentrum für Angeborene Lungenerkrankungen am Klinikum Stuttgart überwiesen. Durch die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit mit allen Fachbereichen deckt das Zentrum das komplette Versorgungsspektrum ab und kann so eine hochqualifizierte Betreuung vom Neugeborenen- bis zum Erwachsenenalter gewährleisten.

Prof. Markus Rose (links) und Prof. Martin Hetzel (rechts) konnten Asyas Karzinoid mit einer Kältesonde schockgefrieren und abtragen –
was bei Kindern nur an wenigen Zentren gemacht wird.

Unerwartete Entdeckung

Bei der Bronchoskopie im Klinikum Stuttgart machte Prof. Markus Rose im Herbst 2019 dann eine unerwartete Entdeckung: Asya hatte eine Verlegung ihrer Bronchien. „Aufgrund eines erbsengroßen Tumors konnte das Bronchialsekret nicht abfließen. Im Sekret haben sich immer wieder Bakterien eingenistet und Lungenentzündungen verursacht“, sagt der Ärztliche Leiter des Zentrums. Prof. Rose vermutete, dass es sich bei dem Hindernis um ein Karzinoid handelte, einen Tumor der Lunge. Karzinoide entstehen aus hormonbildenden Zellen, die als Teil des Nervensystems in vielen Organen vorkommen. Lungentumore sind im Kindesalter sehr selten und Karzinoide noch viel seltener. Der Lungenexperte: „Die Diagnose‚ Lungenkarzinoid‘ wird jedes Jahr in Deutschland nur bei wenigen Erwachsenen gestellt, bei Kindern gibt es diese Tumorform so gut wie gar nicht.“

Mutter Angela kann sich auch nach sieben Jahren noch gut an den Moment erinnern, als Prof. Rose sie über den Befund informierte: „Er war sehr einfühlsam, aber ich habe ihm sofort angesehen, dass etwas nicht stimmt.“ Doch die ganze Tragweite des Befunds und welche Folgen er für Asya haben könnte, sei ihr zuerst nicht bewusst gewesen.

Minimalinvasiver Eingriff

Denn bei einem Lungentumor ist meist eine Operation mit Öffnung des Brustraums und Entfernung der betroffenen Teile der Lunge notwendig: Eine große und auch risikoreiche Operation. Das Expertenteam aus der Kinderpneumologie, Kinderchirurgie und Kinder-HNO des Klinikums konnte jedoch einen minimalinvasiven Eingriff und damit eine für Asya viel weniger belastende Behandlungsmethode durchführen. Der Tumor wurde in „Schlüsselloch-Chirurgie“ mittels eines starren Bronchoskops und einer Elektroschlinge bis auf einen kleinen Rest fast ganz entfernt und Asya durfte bereits nach wenigen Tagen wieder nach Hause.

„Die Diagnose Lungenkarzinoid wird jedes Jahr in
Deutschland nur bei wenigen Erwachsenen gestellt, bei
Kindern gibt es diese Tumorform so gut wie gar nicht.“
Prof. Markus Rose

Gewebeuntersuchungen bestätigten Prof. Roses Vermutung: Es handelte sich um ein Karzinoid, einen hoch differenzierten malignen Tumor, der sehr langsam wächst und bei kompletter Entfernung eine gute Prognose hat. Dass es keine weiteren Wucherungen im Körper der kleinen Patientin gab, konnte mittels eines Positronen-CTs nachgewiesen werden.

Asya mit ihrer Familie

„Ich war mit Asya bei den verschiedensten Ärzten. Doch niemand konnte ihr wirklich helfen.“
Angelika, Asyas Mutter

Doch noch eine große OP?

Die regelmäßigen Kontrolluntersuchungen in den nächsten Jahren zeigten zuerst kein erneutes Tumorwachstum bei Asya. „Im Herbst 2022 haben wir bei der Bronchoskopie dann leider festgestellt, dass der Rest-Tumor, den wir beim ersten Eingriff nicht komplett entfernen konnten, in Asyas Bronchien nachgewachsen war. Wir hatten es damals bevorzugt, die Entwicklung des Tumors erst einmal weiter zu beobachten“, sagt Markus Rose. Zwei Jahre später verlegte der Tumor allerdings wieder die Atemwege, so dass 2024 erneut medizinischer Handlungsbedarf bestand.

Geplant wurde zunächst nun doch eine große Operation, um das Karzinoid restlos entfernen zu können. „Das hätte für unsere Patientin große gesundheitliche Folgen gegehabt: Wir sind zwar stolz auf unsere hochkompetenten Thoraxchirurgen, aber es hätten nicht nur der Brustkorb eröffnet, sondern auch Teile der Bronchien und der Lunge entfernt werden müssen“, sagt Prof. Rose. Auch ein längerer Krankenhausaufenthalt wäre dann nötig gewesen.

Rettungsanker Kryochirurgie

Das alles wollten die Ärzte dem Mädchen ersparen. Deshalb entschieden sie nach einer interdisziplinären Konferenz mit Experten aus den Bereichen Pneumologie, Onkologie und Anästhesie und unter Einbeziehung des nationalen Referenzzentrums für Karzinoide in Magdeburg, es doch noch einmal minimalinvasiv und mit Kryochirurgie zu versuchen, einem Verfahren, das durch gezielte Kälteeinwirkung Gewebe zerstört. Prof. Martin Hetzel, Ärztlicher Direktor der Klinik für Pneumologie und Beatmungsmedizin, und Prof. Markus Rose rückten dem Tumor mit CO2 zu Leibe. Mit Erfolg! „Wir konnten das Karzinoid mit einer Kältesonde abtragen – mit guten Heilungsaussichten, nachdem die Gewebeproben aus der Tumorabsetzungsstelle tumorfrei waren“, freut sich Prof. Hetzel. „Mit einer Kältesonde Gewebe Schock zu gefrieren und Tumoren abzutragen, wird bei Kindern nur an wenigen Zentren gemacht“, fügt Prof. Rose stolz hinzu. Und Asya? Sie durfte, nach einer Nacht zur Überwachung auf der Kinderintensivstation, schon wieder nach Hause.

Asya mit ihrer Schwester

Asya ist glücklich, endlich wieder unbesorgt mit ihrer Schwester das Leben genießen und Handball spielen zu können.

Gut aufgehoben

Asya selbst war bei ihrer Karzinoid-Diagnose acht Jahre alt, heute ist sie 14. An ihre erste Operation kann sie sich nur aufgrund von Erzählungen ihrer Eltern erinnern. Aber sie erinnert sich noch gut daran, dass sie als der Tumor 2022 wieder größer geworden war, beim Handball spielen, ihrem großen Hobby, schlechter Luft bekommen hat. Eines ist sie sich aber ganz sicher: „Ich habe mich im Olgäle immer gut aufgehoben gefühlt.“

Schon in der Grundschule hat sich die 14-Jährige für Anästhesie interessiert und sogar ein kleines Referat über das Thema gehalten. Auch bei dem Eingriff im letzten Jahr war ihre Neugier groß. „Bevor ich eingeschlafen bin, habe ich den Anästhesisten ein Loch in den Bauch gefragt, ich wollte einfach alles wissen“, erzählt sie. Asya hofft sehr, dass der Tumor nicht mehr zurückkommt und keine weiteren Operationen mehr nötig sind. Trotzdem möchte sie bald mal wieder einen Blick in die Operationssäle des Olgahospitals (Kinderkrankenhaus) werfen: „Ich würde unheimlich gerne in dem Bereich hospitieren, um mehr über Narkosen zu erfahren.“

Geballte Expertise unter einem Dach

Das Klinikum Stuttgart hat das neue Robert Mayr Lungenzentrum feierlich eingeweiht. In dem interdisziplinären Zentrum arbeiten Spezialist:innen mehrerer Fachbereiche eng zusammen, um Patient:innen mit Lungenerkrankungen bestmöglich zu versorgen. Erst kürzlich hat das Zentrum den Zertifizierungsprozess der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) als Lungenkrebszentrum durchlaufen – ein Gütesiegel für höchste medizinische Qualität und spezialisierte Versorgung.

Namensgeber des Zentrums ist Robert Mayr, Stifter und Vorstandsvorsitzender der Eva Mayr-Stihl Stiftung, die das Klinikum Stuttgart seit vielen Jahren insbesondere im Bereich der Krebsmedizin unterstützt. „Ich fühle mich sehr geehrt und verstehe die Benennung des Lungenzentrums auch als Anerkennung für die Arbeit unserer Stiftung“, sagte Mayr bei der Einweihung. „Auch meine Frau hätte sich sehr darüber gefreut. Wir waren beide überzeugt, dass Engagement in der Medizin besonders sinnvoll ist. Das Klinikum Stuttgart lag ihr ebenso sehr am Herzen wie mir.“

Lungenkrankheiten sind Volksleiden und gehören zu den häufigsten Todesursachen weltweit. Unter den sechs führenden Todesursachen finden sich gleich drei Lungenerkrankungen: COPD (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung), Infektionen der unteren Atemwege und Lungenkrebs. Etwa jeder achte Mensch in der EU stirbt an einer Lungenkrankheit. Für eine umfassende Versorgung von Patient:innen mit Lungenerkrankungen müssten ambulanter und stationärer Sektor ineinandergreifen, die Vorbeugung gestärkt und eine möglichst starke Früherkennung etabliert werden, so Prof. Dr. Jan Steffen Jürgensen, Medizinischer Vorstand des Klinikums Stuttgart. Er unterstrich die Bedeutung spezialisierter Zentren: „In spezialisierten Zentren sind die Behandlungsergebnisse nachweislich besser als in kleineren Häusern mit weniger Erfahrung. Die gelungene Zusammenführung der Kompetenz im Robert Mayr Lungenzentrum ist daher ein wichtiger Schritt und eine gute Nachricht für die Patient:innen.“