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Gelernt zu vertrauen

Heribert Mauel hat in seinem Leben viel durchmachen müssen. Als Kind erlebte er Misshandlung und Vernachlässigung, was zu schweren Traumatisierungen führte. In den 90er Jahren überlebte er ein Magenkarzinom. Dank psychologischer Unterstützung und sozialer Begleitung lernte der heute 62-Jährige jedoch Menschen zu vertrauen und ohne Drogen zu leben.

Heribert Mauel hatte keine schöne Kindheit in Euskirchen. Sie war geprägt vom Drogenkonsum seiner Mutter und Gewalterfahrungen. Sein Vater kümmerte sich nicht um ihn, er wurde vernachlässigt und misshandelt. Mit sechs wurde er bei einem Autounfall schwer verletzt. Ärzten und Pflegepersonal im Krankenhaus blieben die Spuren von Gewalt und Misshandlung nicht verborgen. Sie unternahmen aber nichts, um ihn zu schützen. Bereits als Grundschüler fing er an zu rauchen und zu trinken und trieb sich auf der Straße herum. Mit 12 landete er das erste Mal wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus. Später experimentierte er mit Drogen. Von seiner Mutter musste der Junge sich immer wieder anhören: „Du bringst nur Unglück über die Leute, aus dir kann ja nichts werden.“ Aber Heribert Mauel fand auch immer wieder Menschen, die an ihn glauben und ihn unterstützten, wie der Kohlehändler oder der Schrotthändler, bei denen er als Kind und Jugendlicher immer wieder aushalf. Glück im Unglück hatte er, als er als junger Erwachsener unter Drogeneinfluss „eine Fabrik in die Luft jagte“ statt sie zu bewachen. Er musste sich vor Gericht verantworten, bekam aber eine vergleichsweise milde Strafe.

Heribert Mauel

„Ich konnte die Liebe meiner Frau einfach nicht annehmen und aushalten.“
Heribert Mauel

Sein Leben als junger Erwachsener war geprägt von Alkohol und Drogen. Dennoch schaffte er es, erwerbstätig zu sein und arbeitete auf dem Bau und als Koch. Er heiratete eine US-Soldatin und wurde Vater von zwei Kindern. Doch als ein drittes Kind direkt nach der Geburt in seinen Armen starb, zog es ihm den Boden unter den Füßen weg und er geriet in die Fänge einer obskuren Sekte. „Ich weiß nur noch, dass ich am Bahnhof von einer Frau angesprochen wurde und irgendwann von Spaziergängern völlig verwirrt in einem Waldstück entdeckt wurde“, erinnert sich der heute 62-Jährige und daran, dass seine Frau ihn und die beiden Kinder kurz darauf verließ. Sein Sohn und seine Tochter kamen in Pflegefamilien, er zog mit Schaustellern durch die Gegend.

Schließlich landete der gebürtige Euskirchener in Stuttgart, wo er seine zweite Frau kennenlernte. Doch auch diese Ehe scheiterte. „Ich konnte die Liebe meiner Frauen einfach nicht annehmen und aushalten“, sagt Heribert Mauel. Nach der Trennung rutschte er ins Obdachlosenmilieu ab und konsumierte wieder Drogen. In zerstörerischer Absicht fügte er sich immer wieder selbst schwere Verletzungen zu, war „Stammkunde“ in den Notaufnahmen und den Psychiatrien in Stuttgart. Denn Patienten mit einer Borderline-Erkrankung wie Heribert Mauel, die durch ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in Beziehungen, Selbstbild, Gefühlen und Verhalten gekennzeichnet ist, erleben oft starke Stimmungsschwankungen, impulsives Verhalten und eine intensive Angst vor dem Verlassenwerden, was zu Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen führt. „Um mich selbst zu bestrafen, habe ich mir immer wieder selbst Verletzungen zugefügt“, sagt Heribert Mauel und zeigt auf seine vernarbten Arme und den Bauch.

Ende der 90er-Jahre lernte Heribert Mauel Claus Dieter Kieser kennen. „Durch seine Erfahrungen in der Kindheit ist Herr Mauel schwer traumatisiert und leidet unter anderem an einer Bindungsstörung. Es war anfangs ein Auf und Ab, ich habe mir sein Vertrauen hart erkämpfen müssen“, erinnert sich der Psychologe des Klinikums Stuttgart. Schon als Kind war bei dem heute 62-Jährigen ADHS, eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, diagnostiziert worden. Doch erst in der Suchtmedizinischen Ambulanz (SUMA) des Klinikums Stuttgart, wo Heribert Mauel inzwischen in Behandlung war, gelang es ihm erstmalig, eine Entgiftung durchzustehen. Anschließend konnte er medikamentös eingestellt werden. Seitdem ging es ihm wesentlich besser. Mit Unterstützung von Claus Dieter Kieser und Dr. Hans-Peter Medwed schaffte es Heribert Mauel schließlich, sich zu stabilisieren und schrittweise die Finger ganz von den Drogen zu lassen.

Auf einen Blick

In der Klinik für Suchtmedizin und Abhängiges Verhalten des Klinikums Stuttgart werden Menschen unterstützt und behandelt, die Herausforderungen durch den Konsum von Alkohol, Medikamenten, illegalen Substanzen und zusätzlich psychische Belastungen erleben – ambulant und stationär.

Informationen zur Klinik

Es gab zwar immer wieder Rückfälle, Selbstverletzungen und psychische Krisen, aber insgesamt ging es aufwärts. Die Klinikaufenthalte wurden weniger und er konnte ambulant behandelt werden. Schließlich war Heribert Mauel so stabil, dass er in der Feuerbacher Arbeitsbörse Kinderspielzeug verpacken konnte und im Gemeindepsychiatrischen Zentrum gekocht hat. Claus Dieter Kieser: „Durch die soziale Unterstützung und gleichzeitige psychologische Betreuung hat er gelernt, mehr zu vertrauen und konnte auch zu anderen Kollegen Vertrauen aufbauen. Er hat an seinen Fähigkeiten gearbeitet, um besser mit Suchtdruck umgehen zu können.“ Heribert Mauel lernte durch Gespräche, bei Spannung mit Bewegung statt mit Selbstverletzung und Alkohol zu reagieren.

Claus Dieter Kieser begleitet Heribert Mauel inzwischen seit mehr als 25 Jahren und weiß, was sein Patient im Laufe seines Lebens durchgemacht hat. „Als Vierjähriger hat er zu Gott gebetet, er möge ihn sterben lassen. Er hat nicht nur die Gewalt seiner Eltern überlebt, sondern auch ein Magenkarzinom in den 90er Jahren.“ Die Tochter seines Patienten sei zudem als Kind in der Pflegefamilie missbraucht worden und habe sich vor drei Jahren das Leben genommen, nachdem ihr Sohn an einer Krebserkrankung verstorben sei. Zu seinem Sohn habe Heribert Mauel keinen Kontakt mehr. Immer wieder habe es neue Schicksalsschläge gegeben, die der Mann habe verkraften müssen, die ihn verzweifeln ließen. Dadurch seien alte Verhaltensmuster immer wieder durchgebrochen. Heribert Mauel gibt sich an allem die Schuld und denkt, dass er seine Kinder nicht genug beschützt hat.“

"Es war anfangs ein auf und ab, ich habe mir Heribert Mauels Vertrauen hart erkämpfen müssen."

Claus Dieter Kieser

2019 ist Heribert Mauel in eine kleine Wohnung in Nähe der Suchtmedizinischen Ambulanz (SUMA) des Klinikums gezogen. Er verdient sich ein bisschen Geld, indem er sich um die Sauberkeit und die Pflanzen rund um den Gebäudekomplex in der Türlenstraße kümmert. „Seitdem Herr Mauel den Job in der SUMA hatte, ging es spürbar aufwärts mit ihm. Er hat sogar auf Festen noch andere kleine Jobs angenommen und gut bewältigt“, erzählt Claus Dieter Kieser. Doch dann sei Heribert Mauel kurz vor der Corona-Zeit früh morgens auf der Straße überfallen worden. „Das Schlimmste für ihn damals war, dass ihm im Krankenhaus niemand geglaubt hat, dass er ein Opfer und nicht der Täter ist. Von den Mitarbeitern dort wurde er sehr unfreundlich behandelt. Das war ein ziemlicher Rückschlag für ihn.“ Die SUMA und das BMZ (Behandlungszentrum Mitte) sind für Heribert Mauel zu einem zweiten Zuhause geworden. Er arbeitet nicht nur dort, sondern kennt alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und alle kennen ihn. Ist er mal ein paar Tage nicht da, wie neulich als er krank war, fällt das sofort auf. „Wo ist denn der Harry? Ist alles in Ordnung?“ wurde Claus Dieter Kieser zigmal am Tag gefragt. Und Heribert Mauel merkt man an, wie glücklich er ist, dass die Mitarbeitenden ihn so annehmen, wie er ist, und ihm vertrauen. Der Patient: „Ich werde immer wieder auf einen Kaffee eingeladen. Aber viel wichtiger: Ich finde immer ein offenes Ohr, wenn ich das brauche.“

Zur Person

Heribert Mauel wurde als Kind vernachlässigt und misshandelt. Schon im Grundschulalter fing der heute 62-Jährige an zu rauchen und zu trinken, später experimentierte er mit Drogen. In zerstörerischer Absicht fügte er sich immer wieder selbst mit dem Messer schwere Verletzungen zu, war Stammkunde in Notaufnahmen und Psychiatrien in Stuttgart. Mit psychologischer Unterstützung und sozialer Begleitung lernte Heribert Mauel jedoch, Menschen zu vertrauen und drogenfrei zu leben.