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Interview mit Prof. Dr. Freerk Baumann

Prof. Dr. Freerk Baumann über Bewegung und Krebs

Die Veranstaltungsreihe „Wissensreise Krebs“ informiert über Wissenswertes rund um die Erkrankung Krebs, ihre Auswirkungen sowie verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten. Hierzu können Teilnehmende vorab oder während des Online-Streams ihre Fragen stellen. Neben neuesten medizinischen Erkenntnissen und Informationen zu den Therapiemethoden sollen besonders die Auswirkungen der Krebsbehandlung auf Körper und Seele beleuchtet, die Einbeziehung der Angehörigen thematisiert sowie die Folgen für das berufliche und soziale Umfeld in den Fokus gerückt werden.

Expertinnen und Experten aus den verschiedensten Fachgebieten laden zum Zuhören, Fragen und Mitdiskutieren ein.

Das Interview mit Herrn Prof. Freerk ist ein Auszug einer solchen Wissensreise Krebs zum Themengebiet Sport (Februar 2024). 

Die Veranstaltungsreihe „Wissensreise Krebs“ informiert über Wissenswertes rund um die Erkrankung Krebs, ihre Auswirkungen sowie verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten. Hierzu können Teilnehmende vorab oder während des Online-Streams ihre Fragen stellen. Neben neuesten medizinischen Erkenntnissen und Informationen zu den Therapiemethoden sollen besonders die Auswirkungen der Krebsbehandlung auf Körper und Seele beleuchtet, die Einbeziehung der Angehörigen thematisiert sowie die Folgen für das berufliche und soziale Umfeld in den Fokus gerückt werden. Expertinnen und Experten aus den verschiedensten Fachgebieten laden zum Zuhören, Fragen und Mitdiskutieren ein.

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„Man hat es leider bis heute nicht richtig verstanden, dass wir uns, ohne dass wir vorab erkrankt sind, schon regelmäßig bewegen müssen.“

Prof. Dr. Freerk Baumann

 

Herr Prof. Baumann, stellen Sie sich doch bitte kurz vor

Ich bin Sportwissenschaftler und beschäftige mich seit über 25 Jahren mit den Einflüssen von Bewegung auf Krebserkrankungen. Schon Ende der 1990er Jahre habe ich im Rahmen meines Studiums an der Deutschen Sporthochschule Köln mit Leukämie-Patienten gearbeitet, die ich während einer allogenen und autologen Stammzelltransplantation auf Station trainierte. Daraus entstand meine Dissertation, abgeschlossen 2005, die zeigte: Wir müssen früher mit Bewegung beginnen – nicht erst in der Reha, sondern schon während der medizinischen Therapie. 

Heute leite ich an der Universitätsklinik Köln eine Arbeitsgruppe mit 18 Mitarbeitern und habe eine Stiftungsprofessur für Onkologische Bewegungsmedizin. 

Unser Ziel: wissenschaftliche Erkenntnisse in die Versorgung bringen und Bewegung für möglichst viele Patienten zugänglich machen.

 

Warum ist Bewegung in der Krebsmedizin so wichtig?

Bewegung wirkt ganzheitlich: Sie reduziert Erschöpfung, beugt Kraftverlust und Funktionsstörungen vor und steigert die Lebensqualität. Das Schlechteste ist, gar nichts zu tun. Bewegung ist niemals Auslöser oder Verstärker von Krebs. 

Im Gegenteil: Schon in der Prävention können wir mit 150 Minuten moderater oder 75 Minuten intensiver Aktivität pro Woche das Risiko für bestimmte Krebsarten um 20–30 % senken. Hochgerechnet ließen sich in Deutschland etwa 6,5 % aller Neuerkrankungen verhindern. Bewegung wirkt also vorbeugend, wenn auch nicht auf Nullreduktion.

 

Und was passiert, wenn bereits eine Diagnose gestellt wurde?

Auch dann gilt: Bewegung ist sicher. Selbst während Chemo-, Strahlen- oder Immuntherapie profitieren Patienten. Wichtig ist, individuell anzupassen – an guten Tagen mehr, an schlechten weniger. Jeder Tag ist anders, es gibt keinen starren Plan. Wer früh beginnt, hat weniger Nebenwirkungen und kommt oft besser durch die Therapie.

 

Sie haben viel über Polyneuropathien gesprochen. Welche Rolle spielt hier Bewegung?

Polyneuropathien – also Taubheitsgefühle, Kribbeln oder Schmerzen an Händen und Füßen – sind häufige Folgen von Chemo- und Immuntherapien. Studien zeigen, dass sensomotorisches Training oder Vibrationstraining helfen können: prophylaktisch, um das Risiko zu senken, und therapeutisch, um bestehende Beschwerden zu lindern. Auch Kraft- und Ausdauertraining zeigten präventive Effekte, wenn Patienten besonders gefährdet waren. Bei bestehenden Polyneuropathien war aber vor allem sensomotorisches und Vibrationstraining wirksam.

 

Was genau ist sensomotorisches Training?

Es ist eine Art Koordinationstraining – z. B. Stehen oder Gehen auf wackeligen Untergründen. Dazu kommen feinmotorische Übungen wie Münzen stapeln oder Muttern aufdrehen. Beim Vibrationstraining stehen Patienten auf Platten oder legen die Hände darauf, um gezielt Nerven und Muskulatur zu stimulieren.

Praktische Tipps

Bewegung muss Freude machen. Bewegung muss nicht im Fitnessstudio stattfinden. Treppensteigen, Spazierengehen, Wasserkisten tragen, Arbeiten im Haushalt, Arbeiten im Garten, das Toben mit den Kindern oder Enkelkindern – all das sind Trainingsreize. 4.000–7.000 Schritte am Tag reichen bereits. Jeder Schritt zählt, jede Minute Bewegung bringt etwas. Wichtig ist, die Aktivitäten positiv zu sehen – selbst Koffertragen kann ein gutes Training sein. Und: lieber regelmäßig kleine Einheiten als gar nichts.

Dann ist das völlig in Ordnung. Wer wegen Chemo ein paar Tage pausieren muss, verliert nichts. Entscheidend ist, nicht dauerhaft in Inaktivität zu verfallen. Und: Symptome immer mit dem Arzt abklären – manchmal lassen sich Medikamente anpassen.

Hilft Bewegung auch bei anderen Nebenwirkungen?

Ja, z. B. beim ungewollten Gewichtsverlust durch Tumorkachexie. Hier empfehlen wir eine Kombination aus intensivem Krafttraining zum Muskelerhalt und moderatem Ausdauertraining zur Senkung von Entzündungswerten. Auch bei Osteoporose – begünstigt durch Chemo oder Antihormontherapie – wirkt Bewegung. Hier brauchen wir Kraft- und Impacttraining, also auch Sprünge oder Step-Übungen, um den Knochenreiz zu setzen. Wichtig: Knochen passen sich langsam an, daher muss das Training über Monate, idealerweise dauerhaft, erfolgen.

 

Und das Herz?

Kardiotoxizitäten – also Herz- und Gefäßschäden durch Therapien – sind ein großes Thema. Studien bei Brustkrebspatientinnen zeigen: Wer körperlich aktiv ist, hat bis zu 20 % weniger kardiovaskuläre Ereignisse. Schon moderate Bewegung während und nach der Therapie kann schützen.

 

Kann Bewegung auch die Prognose beeinflussen?

Es gibt Hinweise: Studien mit Brust-, Dickdarm- und Prostatakrebs zeigen bis zu 30 % geringere Sterblichkeit bei aktiven Patienten. Endgültige Beweise fehlen noch, da wir mehr große randomisierte Studien brauchen. Aber die Tendenz ist klar positiv.

 

Lässt sich Bewegung auch mit medizinischen Therapien kombinieren?

Ja. Tiermodelle zeigen z. B., dass Bewegung das Tumorwachstum bremsen kann. In Studien prüfen wir gerade, ob Chemotherapie oder Immuntherapie durch begleitendes Training wirksamer werden. Erste Daten sind vielversprechend – Bewegung könnte Tumoren für das Immunsystem besser erkennbar machen.

 

Welche Rolle spielt Bewegung für die Psyche?

Eine sehr große. Schon 2007 haben wir Bewegungsprogramme in der Natur ausprobiert, z. B. Schneeschuhwandern oder Skilanglauf in Norwegen. Patienten erleben dabei neue Kraftquellen und Selbstwirksamkeit. Bewegung kann so Ängste und Depressionen lindern und das Gefühl von Selbstbestimmung stärken.

Ausblick

Wir wollen genauer verstehen, wie Bewegung biologisch wirkt und wie sie Therapien ergänzen kann. Außerdem geht es darum, Angebote in die Versorgung zu bringen, Therapeuten auszubilden und Krankenkassen von der Notwendigkeit zu überzeugen. Denn unser Ziel ist klar: Jeder Krebspatient soll Zugang zu qualitätsgesicherter Bewegungstherapie haben.

Studien, Informationen, Wissenswertes. Hier geht es zu gesicherten Informationen:
 

Zu den Angeboten am Klinikum Stuttgart, Stuttgart Cancer Center – Tumorzentrum Eva Mayr-Stihl:

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