Interview mit Cornelia Mast
Welche Hauptaufgaben übernehmen Sie im Bereich Sport und Bewegung am Stuttgart Cancer Center – Tumorzentrum Eva Mayr Stihl?
Ich bin für die Strukturierung unserer sporttherapeutischen Angebote in der Erwachsenenonkologie zuständig, berate Patienten und stelle sicher, dass sie das passende Therapieangebot erhalten. Zudem entwickle ich die Angebote kontinuierlich weiter, sowohl im Hinblick auf Abrechnungsstrukturen als auch auf den sich ändernden Bedarf.
„Genau genommen hat Sport bereits einen Effekt vor der Behandlung, denn je fitter ein Patient zur Behandlung kommt, desto größer sind die Chancen, dass die Behandlung besser vertragen wird, optimale Dosen gegeben werden können und damit dann auch effektiver bekämpft werden kann. Zudem erholen sich Patienten dann auch schneller.“
Cornelia Mast, Sportwissenschaftlerin Stuttgart Cancer Center – Tumorzentrum Eva Mayr-Stihl
Wie sieht das Spektrum Ihrer sporttherapeutischen Angebote für Krebspatienten aus?
Unser sporttherapeutisches Angebot für Krebspatienten ist breit gefächert und wird individuell auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Patienten abgestimmt. Wir beraten zu wichtigen Themen wie Fatigue und peripherer Neuropathie (PNP) und erstellen maßgeschneiderte Trainingspläne.
Diese Pläne orientieren sich an den jeweiligen körperlichen Voraussetzungen und Zielen der Patienten. Zudem vermitteln wir die Patienten in spezifische Therapieangebote, die ihnen helfen, ihre körperliche Leistungsfähigkeit je nach Krankheitsphase zu erhalten, wiederherzustellen oder zu verbessern.
Während der Behandlung bieten wir kontinuierliche Unterstützung und die Möglichkeit, in unseren onkologischen Trainingsgruppen individuell betreut zu trainieren.
Arbeiten Sie eng mit anderen Fachdisziplinen zusammen? Wenn ja, mit welchen?
Tatsächlich mit fast allen, weil die Patienten nun mal ganz individuell auf die Therapie reagieren. Das bedeutet, dass wir regelmäßig im Austausch mit den behandelnden Ärzten, Onkologen und anderen Fachkräften stehen, um die bestmögliche Betreuung sicherzustellen. Jeder hat dabei seine Expertise, und wir bringen uns gemeinsam ein, um die Patienten auf ihrem Weg zu unterstützen.
Welche individuellen Faktoren berücksichtigen Sie bei der Erstellung eines Trainingsplans für Krebspatienten?
Natürlich den aktuellen Leistungsstand und die körperliche Verfassung des Patienten, aber auch Aspekte wie räumliche Voraussetzungen (was ist beispielsweise zuhause für den Patienten möglich) und Begleiterkrankungen. Genauso wichtig ist es aber, den Patienten zu fragen, was ihm tatsächlich Spaß macht – ein Training, das Freude bereitet, wird auch langfristig eher durchgehalten. Jeder Patient ist einzigartig, und unser Ziel ist es, einen Plan zu entwickeln, der sowohl effektiv und motivierend, aber auch nachhaltig ist.
Kontakt über die Interdisziplinäre Tumorambulanz:
Welche Übungen oder Trainingsmethoden setzen Sie am häufigsten ein?
Das ist schwer zu sagen und sehr individuell aber Rückenkräftigung oder Gleichgewichtsübungen sind beispielsweise häufig der Fall. Die Rücken- und Rumpfkräftigungen sind besonders wichtig, da durch die reduzierte Bewegung der Rücken oft Probleme verursacht, die durch einfache Übungen zu Hause gut kompensiert werden können, aber auch weil viele ohnehin ein Rückenleiden mitbringen und man dann gut gleich zwei Problematiken bearbeiten kann.
Gleichgewichtsübungen sind vor allem bei peripherer Neuropathie in den Füßen ein zentrales Thema. Darüber hinaus verweise ich oft auf sanfte Bewegungsformen wie Yoga oder Qi Gong, da diese helfen, Schlafstörungen und Unruhe zu lindern. Diese Übungen fördern nicht nur die körperliche, sondern auch die mentale Ausgeglichenheit der Patienten.
Welche Herausforderungen begegnen Ihnen im Arbeitsalltag besonders häufig?
Den Spagat finden zwischen den Bedürfnissen der Patienten, dem Wissen, was alles hilft, aber auch der Realität den Patienten nicht maßlos zu überladen. Das ist manchmal etwas herausfordernd. Man will so viel wie möglich mitgeben, aber muss auch merken, wenn die Patienten zu dem Zeitpunkt einfach weniger brauchen, ansonsten läuft man Gefahr, sie zu demotivieren.
Nutzen Sie spezielle Geräte oder Technologien zur Unterstützung der Therapie?
Nein, wenn ich Beratungen mache, dann möchte ich, dass die Patienten ein praktikables und niedrigschwelliges Angebot bekommen. Auch wenn ich Trainingspläne erstelle, frage ich, was die Patienten schon da haben oder vielleicht ohnehin anschaffen möchten.
Warum ist Bewegung und Sport aus Ihrer Sicht besonders wichtig für Menschen mit Krebs?
Sport kann auf vielen Ebenen wirken, weil Sport eine direkte positive Wirkung auf den Körper als auch den Geist hat. Sport hilft, die körperliche Fitness zu erhalten und sogar zu steigern, was insbesondere nach einer Krebsbehandlung wichtig ist, um die Lebensqualität zu verbessern. Gleichzeitig stärkt Bewegung das Immunsystem und kann Rückfällen vorbeugen. Aber auch psychisch ist Sport ein wichtiger Faktor – er kann Ängste lindern, die Stimmung verbessern und gibt den Patienten das Gefühl von Kontrolle und Selbstwirksamkeit. Zudem zeigen aktuelle Studien, dass regelmäßige Bewegung auch positive Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Behandlung haben könnte.
Welche positiven Effekte kann Sport während und nach der Krebsbehandlung haben?
Genau genommen hat Sport bereits einen Effekt vor der Behandlung, denn je fitter ein Patient zur Behandlung kommt, desto größer sind die Chancen, dass die Behandlung besser vertragen wird, optimale Dosen gegeben werden können und damit dann auch effektiver bekämpft werden kann. Zudem erholen sich Patienten dann auch schneller. Deswegen hat die Prähabilitation, also der Beginn eines Trainings schon möglichst früh vor Start der Behandlung eine immer höhere Bedeutung.
Gibt es bestimmte Sportarten oder Trainingsformen, die Sie für Krebspatienten besonders empfehlen? Wenn ja, welche und in welchen Phasen?
Das ist komplett abhängig von der Art der Behandlung, wie der Patient auf die Behandlung reagiert und sie verträgt und dem Leistungsstand. Also komplett individuell. Mit einer Kombination aus angepasstem Kräftigungstraining und Ausdauer kann man aber eigentlich nichts falsch machen.
Wie motivieren Sie Patienten, die vielleicht zunächst zögerlich oder ängstlich gegenüber Sport sind?
Am häufigsten sind die Patienten unsicher, weil sie so viele Termine und Behandlungen haben und während einer Behandlung auch einen instabilen Gesundheitszustand, was natürlich vollkommen normal ist. Es ist wichtig, den Patienten zu zeigen, dass es kein Marathon sein muss, sondern ein Spaziergang manchmal ausreicht und ihnen Hilfestellung geben wie sie Bewegung in den Alltag integrieren können und auch dass man mehrere „Baustellen“ mit einem angepassten Training gleichzeitig behandeln kann. Das führt häufig zu einer großen Erleichterung.
So sind Sie selbst sportlich aktiv:
"Canicross"
Canicross ist ein Geländelauf, bei dem der Sportler mit seinem Hund durch eine flexible Leine verbunden ist. Cornelia Masts Hund, Nemo, hat ebenfalls einen „regulären Job“ am Stuttgart Cancer Center – Tumorzentrum Eva Mayr-Stihl als Besuchshund auf der Palliativstation:
Welche Strategien nutzen Sie, um die Patienten langfristig zur Bewegung zu ermutigen?
Den Spaß und die persönlichen Vorlieben in den Vordergrund stellen. Bewegung soll keine Strafe sein, sondern ist ein Gamechanger. Häufig binde ich die Partner und Angehörigen ein und versuche etwas zu finden, was man gemeinsam machen kann oder ich suche nach den persönlichen Vorlieben und versuche dann passende Bewegungsangebote vor zu schlagen. Ermutigung zu neuem ist dann auch immer eine gute Methode, besonders bei Patienten, bei denen Bewegung bislang noch keine große Rolle gespielt hat.
Gibt es besondere Erfolgserlebnisse oder Feedbacks von Patienten, die Ihnen zeigen, dass Ihre Arbeit wirkt?
Ja, besonders freut es mich, wenn Patienten, die davor mir Sport nicht so viel anfangen konnten, eine neue Leidenschaft entdeckt haben und dann bei beispielsweise auch für Wettkämpfe trainieren. Oder Patienten, die einen direkten Effekt bemerken, das freut mich immer besonders.
Wie gehen Sie mit Rückschlägen oder Motivationsproblemen der Patienten um?
Ich versuche immer wieder neu zu ermutigen und neue Möglichkeiten zu zeigen in der Hoffnung, vielleicht doch eine Lösung für den Patienten zu finden.
Eine Frage, die Sie gerne einmal beantworten würden, aber noch nie gestellt bekommen haben?
Trainierst du eigentlich selber nach Trainingsplänen?
Nein, ehrlich gesagt, bin ich kein großer Fan von Trainingsplänen und da ist schon der ein oder andere Trainer dran verzweifelt. Vor allem, weil ich sehr ungeduldig bin und lieber spontan und flexibel bleibe. Ich mag es, das zu trainieren, worauf ich gerade Lust habe. Aber – und das muss ich zugeben – in der Reha bin ich dann doch die Ausnahme. Da halte ich mich tatsächlich an den Plan, weil ich weiß, wie wichtig er für den Heilungsprozess ist. Also ja, manchmal muss man sich selbst disziplinieren, auch wenn man weiß, dass man es eigentlich lieber anders hätte. Aber das ist wahrscheinlich die größte Herausforderung, wenn man beruflich immer auf den „perfekten Plan“ setzt – man selbst wird trotzdem gerne mal zum rebellischen Patienten!
Das größte Vorurteil gegenüber Ihrer Arbeit oder gegenüber Sport/Krebs mit dem Sie gerne aufräumen würden?
Leider hören wir noch sehr häufig die Aussagen: „Der Patient kann kein Sport machen, der fühlt sich schlapp und müde.“ Oder: „Der weiß selber das Sport gesund ist, das muss ihm keiner sagen.“ Das mag stimmen aber die Bewegung in den Alltag einbauen, dafür fehlt dem Patienten vielleicht einfach gerade die Kapazität und da können wir wirklich gut helfen.
Das motiviert Sie, ganz persönlich, bei Ihrer Arbeit:
Die Chance nachhaltig etwas zu bewirken. Den direkten Effekt auf die Lebensqualität aber auch die Weiterentwicklung in der Sportwissenschaft mitzubekommen und zu erleben, wie neue Erkenntnisse und Ansätze immer mehr in die Praxis einfließen und die Arbeit noch effektiver machen. Es ist einfach cool, an diesem Prozess teilzuhaben und direkt zu sehen, wie Sport das Leben der Menschen positiv beeinflusst.