Stuttgarter Genesungsgeschichten

Eine Niere als Geburtstagsgeschenk

Yannis mit seiner Hündin

Ein Computerspiel, einen Zuschuss fürs heiß ersehnte Handy oder den Urlaub. So etwas bekommen Teenager normalerweise von ihrer Oma zum Geburtstag. Jannis hat von seiner Oma eine Niere geschenkt bekommen.

Nach erfolgreicher Transplantation des Organs im Klinikum Stuttgart ist der 18-Jährige einfach nur glücklich, ein „wieder fast normales Leben führen zu können“. Normal heißt für Jannis: Nicht mehr dreimal in der Woche zur Dialyse zu müssen; wieder so viel trinken zu dürfen, wie er mag; oder einfach nur mit Hündin Emmi lange Spaziergänge zu machen. Fast heißt aber auch, starke Medikamente schlucken zu müssen, damit sein Körper die Niere nicht abstößt, sich möglichst keine Infektion einzufangen und regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen zu gehen.

Extrem seltene Erbkrankheit

Jannis war 16, als die ersten Symptome auftraten. Er fühlte sich schlapp, die Nierenwerte waren schlecht. Monatelang suchten die Ärzte nach dem Grund, auch eine Biopsie brachte kein Ergebnis. Erst ein Gentest brachte die Gewissheit. Der junge Mann litt an TRCP6-Genmutation, einer Erbkrankheit, die die Nieren verkümmern lässt. „Eine extrem seltene Krankheit und ebenso ungewöhnlich ist, dass diese in so jungen Jahren zum Nierenversagen führt“, sagt Prof. Dr. Vedat Schwenger, Ärztlicher Leiter des Zentrums für Innere Medizin im Klinikum Stuttgart. Er versuchte Jannis Niere mit Medikamenten zu stabilisieren. Doch Jannis Nieren reinigten das Blut kaum noch, bald musste er dreimal in der Woche zur Dialyse. Es wurde klar: Einzige Alternative zur Dialyse war eine neue Niere.

In Deutschland warten zurzeit rund 7.500 Menschen auf eine Spenderniere. Jährlich werden bundesweit zirka 2.300 Nierentransplantationen durchgeführt, rund ein Viertel sind Lebendspenden. Das Transplantationsgesetz legt fest, unter welchen Bedingungen ein Mensch auf die Warteliste für eine Spenderniere aufgenommen wird. Es regelt auch, wann ein Mensch einem anderen ein Organ oder Teile eines Organes überlassen darf: Spenden dürfen nur Verwandte ersten oder zweiten Grades, Partner oder andere Personen, die dem Empfänger nahe stehen. Überprüft wird dies von einer Ethikkommission aus Juristen, Ärzten und Psychologen. „Solche Entscheidungen sind immer eine Ermessenssache“, sagt Schwenger, der auch das Transplantationszentrum am Klinikum Stuttgart leitet, und, dass eine Lebendnierenspende wohl überlegt sein müsse. Das bedeute für einen gesunden Menschen das Risiko einer großen Operation einzugehen. Vor der Operation müsse der Spender zudem einen Untersuchungsmarathon über sich ergehen lassen. „Wer das durchhält, der will auch spenden.“ Der Professor wünscht sich deshalb, dass die Gesellschaft Menschen, die sich für eine Lebendspende entscheiden, öffentlich mehr würdigt.

Meist wird man bei der Suche nach Lebendspendern in der engeren Verwandtschaft fündig. Bei Jannis kamen sein Vater und seine beiden Großmütter in die engere Auswahl. Letztendlich favorisierten die Ärzte die kerngesunde und sportliche Anneliese, die erst dachte, sie wäre mit 77 Jahren zu alt für eine Spende. „Es ist sinnvoll, wenn Ältere Jüngeren eine Niere spenden, weil das Risiko für den Spender im Laufe seines Lebens selbst Probleme mit der Niere zu bekommen geringer ist“, widerspricht Schwenger.

Die Niere: ein begehrtes Organ

Die Niere ist das am häufigsten für eine Transplantation benötigte Organ. In Deutschland warten zurzeit etwa 7.500 Menschen auf eine Spenderniere. Aufgrund der Organknappheit werden in Deutschland jährlich nur ca. 2.300 Nierentransplantationen durchgeführt. Die durchschnittliche Wartezeit auf die Niere eines Verstorbenen beträgt deshalb rund acht Jahre. Fast 600 der jährlichen Spendernieren stammen aus einer Lebendorganspende. Mit einer Lebendnierentransplantation lässt sich diese Wartezeit verkürzen oder unter idealen Voraussetzungen sogar ganz umgehen. Der Zeitpunkt der Transplantation ist planbar. Die Organübertragung ist damit unter den bestmöglichen Voraussetzungen durchführbar.

Eine Lebendnierenspende ist die Spende der Niere eines gesunden Menschen für einen nierenkranken Empfänger. Als Spender kommen dabei grundsätzlich alle medizinisch geeigneten Personen in Frage, die in einer engen emotionalen und / oder verwandtschaftlichen Beziehung zum Empfänger stehen. Die Erfolgschancen einer Lebendnierenspende sind in aller Regel besser als bei einer Nierenspende eines Verstorbenen. Je näher die Blutsverwandtschaft zwischen Spender und Empfänger ist, desto besser ist das Resultat. Überraschenderweise sind selbst bei nicht Verwandten mit völlig unterschiedlichen Gewebsantigenen die Ergebnisse sehr gut. Neben der blutgruppenkompatiblen Lebendspende (Blutgruppe des Spenders passt zum Empfänger) werden seit 2006 im Transplantationszentrum des Klinikums Stuttgart auch AB0-inkompatible Nierentransplantationen (Blutgruppenfremde Transplantation) erfolgreich durchgeführt.

Yannis

Nach der Dialyse feiern gegangen

Die Dialyse, bei der das Blut mehrmals in der Woche von Giftstoffen befreit wird, ist nicht nur ein zeitaufwendiger, sondern auch ein belastender Prozess. „Er lässt Menschen schneller altern, viele bekommen Depressionen“, weiß Prof. Dr. Schwenger. Das alles wollte Anneliese P. ihrem Enkel ersparen. Die 77-Jährige entschied sich deshalb dafür ihm eine Niere zu spenden – auch wenn sie Angst vor der Operation hatte. „Ich war noch nie im Krankenhaus und dann gleich so ein großer Eingriff.“ Sie hatte nur eine Bedingung an Jannis: „Er musste aufhören zu rauchen.“ „Das war kein Problem“, antwortet der 18- Jährige grinsend, der das mit der Krankheit nicht so an sich herangelassen hat und nach der Dialyse Freitagabend trotzdem feiern gegangen ist. „Samstags war ich dann halt völlig fertig.“ Aber klar, es sei nicht schön gewesen, dass irgendwie nichts mehr so richtig ging. Er war immer müde, quälte sich durch den Schulalltag, sein Handballtraining gab er notgedrungen auf.

Schließlich wurden Enkel und Oma im Klinikum Stuttgart operiert. Kurz nach der Transplantation kam es bei Jannis zu einer heftigen Abstoßungsreaktion. Doch mit Hilfe von Medikamenten bekamen die Ärzte diese in den Griff. Prof. Dr. Schwenger: „Bei Lebendspendern gehen wir bei der Suche nach einem passenden Spender immer sehr genau vor, es müssen möglichst viele Gewebemerkmale mit denen des Empfängers übereinstimmen. Dennoch kann es zu Abstoßungen kommen.“

Gemeinsam waren Oma und Enkel nach dem Krankenhausaufenthalt auch in Reha in Bad Durbach. Man sieht es Anneliese P. nicht mehr an, aber es hat gedauert, bis sie wieder auf die Beine gekommen ist. „Ich war sehr glücklich, als ich endlich wieder walken und in meine Gymnastik gehen konnte“, meint die 77-Jährige. Auch Jannis fühlt sich inzwischen wieder gut, hat endlich keine Augenringe mehr. Trotzdem hat er immer wieder mit Infekten zu kämpfen. Denn damit sein Körper die neue Niere nicht abstößt, muss er Medikamente nehmen, die sein Immunsystem herunterfahren. Doch bei Prof. Dr. Schwenger – alle zwei Wochen muss er zur Blutabnahme ins Klinikum kommen – fühlt er sich gut aufgehoben. Und er freut sich, dass er jetzt endlich normal essen darf. „Zum Beispiel Schokolade“, sagt er und grinst. Er macht den Führerschein und überlegt sich eine Ausbildung als Mediengestalter anzufangen. „Ich setze jetzt andere Prioritäten. Probleme, die ich früher hatte, sind keine mehr für mich. Dafür beschäftigen mich Fragen wie, warum gesunde Menschen sich mit Drogen kaputt machen.“ Und noch etwas sehr Schönes gibt es: Gut verstanden haben sich Jannis und seine Oma schon immer. „Jetzt ist unsere Bindung noch enger“, sagt Anneliese P. und die beiden lächeln sich an.