350.000 Kinder und Jugendliche leiden in Deutschland an chronischen Schmerzen

Schmerz, du kriegst mich nicht

Dr. Blankenburg bespricht sich mit seinem Team

Die Pädiatrische Psychosomatik und Schmerztherapie im Olgahospital ist bundesweit die zweite Einrichtung, die auf einer speziell eingerichteten Station mit 16 Betten ein multimodales Schmerztherapieprogramm für Kinder und Jugendliche anbietet.

Schmerz schützt. Legen wir zum Beispiel die Hand auf eine heiße Herdplatte, ist der Schmerz ein lebensnotwendiges Alarmsignal, der uns davor bewahrt, unserem Körper weiteren Schaden zuzufügen. „Aus diesem Grund können wir Schmerzen nicht ignorieren, das hat die Natur so eingerichtet“, sagt Privatdozent Dr. Markus Blankenburg, Ärztlicher Direktor der Pädiatrie 1 – Pädiatrische Neurologie, Psychosomatik und Schmerztherapie am Olgahospital. Doch genau das kann manchmal zum Verhängnis werden. Kehrt ein Schmerz über drei Monate immer wieder zurück, spricht man von chronische Schmerzen. Dabei verliert der Schmerz seine ursprüngliche Funktion als Warnhinweis, verselbständigt sich zunehmend und hat damit keine sinnvolle Aufgabe mehr. Stattdessen nimmt er die gesamte Aufmerksamkeit des Betroffenen in Beschlag.

Rund 350.000 Kinder und Jugendliche leiden in Deutschland an chronischen Schmerzen, die meisten an Kopf-, Bauch- oder Rückenschmerzen. Und es werden immer mehr. Eine Untersuchung an Münchner Gymnasien zeigt, dass fast ein Drittel der Schüler regelmäßig Kopfschmerzen haben. Meist handelt es sich um Spannungskopfschmerzen vielfältig, erklärt Dr. Blankenburg, der „biologische“ Anteil von chronischen Schmerzen könne zum Beispiel eine genetisch bedingte Neigung zu Spannungskopfschmerzen sein oder auch eine Verletzung oder Entzündung. „Der psychologische Anteil chronischer Schmerzen sind negative Gedanken und Gefühle, die mit den Schmerzen verbunden sind“, so Dr. Blankenburg. Sie verstärken die Aufmerksamkeit auf den Schmerz und damit die Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses, also die Ausbildung von Zellverbindungen im Gehirn (Synapsen), in denen der Schmerz abgespeichert wird. „Wenn Schmerzen über mehr als drei Monate regelmäßig, also zwei- bis dreimal pro Woche wiederkehren, dann sollte man einen Schmerzspezialisten aufsuchen“, rät Dr. Blankenburg.

Dass die Zahlen steigen, liegt wohl auch daran, dass Schmerzpatienten heute viel ernster genommen werden. „Die Schmerztherapie ist noch ein junges Fach, in der Pädiatrie erst recht“, sagt Dr. Blankenburg. So ist die Pädiatrische Psychosomatik und Schmerztherapie im Olgahospital bundesweit die zweite Einrichtung, die auf einer speziell eingerichteten Station mit 16 Betten ein multimodales Schmerztherapieprogramm für Kinder und Jugendliche anbietet.

Die Schmerzschwelle sinkt immer mehr

„Die Entstehung von chronischen Schmerzen funktioniert oft nach dem gleichen Prinzip“, erklärt Dr. Blankenburg. Ein wiederkehrender Schmerz beginnt die Aufmerksamkeit des Patienten zu dominieren. Zur Angst vor einer schwerwiegenden Erkrankung gesellen sich immer mehr negative Gedanken (etwa: „Der Schmerz geht nicht mehr weg“) oder Gefühle wie Angst und Hilflosigkeit bis hin zur depressiven Verstimmung. Die Betroffenen ziehen sich immer mehr zurück. „Viele unserer Patienten gehen kaum mehr in die Schule, geben ihre Hobbys auf, treffen sich nicht mehr mit Freunden – stattdessen liegen sie im Bett und fokussieren sich weiter auf den Schmerz.“ Mit jeder Schmerzattacke wird es schlimmer. „Dieser Teufelskreis lädt die Schmerzzentren im Gehirn auf wie ein Akku.“ Die Folge ist, dass die Schmerzschwelle immer weiter absinkt. „Schmerzen werden dann viel früher als solche wahrgenommen, bereits kleine Reize lösen das Schmerzempfinden aus – das Schmerzgedächtnis entsteht.“

Wenn eine Schmerzstörung vorliegt, dominiert der Schmerz das Leben des Kindes und meist auch das der Familie. Viele Eltern fühlen sich hilflos und überfordert. Dabei gibt es eine Reihe von Maßnahmen, wie Eltern ihren Kindern sinnvoll und effektiv helfen können. In der Pädiatrischen Psychosomatik lernen die Kinder und Jugendlichen in einem dreiwöchigen Therapieprogramm, den Teufelskreis der Schmerzen zu durchbrechen.

„Unser wichtigstes Ziel ist es, dass die Patienten nach den drei Wochen wieder ein normales Leben führen können – wenn auch zu dem Zeitpunkt oft noch mit Schmerzen“, sagt Dr. Blankenburg. Denn nach drei Wochen sind diese noch nicht weg. Aber: „Wir wissen aufgrund von Studien, dass nach sechs bis zwölf Monaten über zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen mit diesem Programm schmerzfrei werden.“ Das übrigens ist auch der Hauptunterschied zur Behandlung von erwachsenen Schmerzpatienten. Die Erfolgsrate bei Kindern und Jugendlichen ist sehr viel höher. „Ich denke, es liegt daran, dass die Kinder noch nicht so lange an den chronischen Schmerzen leiden wie viele Erwachsene, die zum Teil über viele Jahre mit Schmerzen leben. Für die Kinder ist es noch leichter, den Teufelskreis zu durchbrechen.“

Aus: Klinikum live, Ausgabe 03|2014

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Priv.-Doz. Dr. Markus Blankenburg
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