Nicht mehr ahnungslos

Unbekannte Ursache

Die Ursache für die radiale Fehlbildung des Handgelenks und der Unterarme ist unbekannt, vermutet wird ein Gendefekt. „In den meisten Fällen ist nur eine Hand betroffen. Amals Fall ist ungewöhnlich“, sagt Professor Wachter. Die Fehlbildung ist sehr selten und wird von den Medizinern in verschiedene Grade eingeteilt. Das kleine Mädchen aus Saudi-Arabien leidet an Grad fünf – der schwersten Fehlbildung. „Ein gesunder Unterarm besteht aus Elle und Speiche. Bei Amal fehlen die Speiche und der Daumen.“ Das Knochenwachstum im Unterarm ist eingeschränkt und der Ellenbogen kann nur bedingt gebeugt werden, am auffälligsten ist die starke Fehlstellung im Handgelenk, die den Einsatz der Hand stark behindert. 

Die Behandlung der letzten vier Jahre umfasste verschiedene Operationen. Zunächst wurde das Handgelenk chirurgisch so gedreht, dass es auf dem Kopf der Elle sitzt. „So erhält die Hand, die zuvor in bizarrer Fehlstellung fast unbrauchbar ist, ihre normale Form zurück. Zudem war diese Operation die Grundlage für die weiteren Behandlungsschritte“, sagt Professor Wachter. Die Umstellung des Gelenks wurde mit verschiedenen Drähten und Nägeln fixiert. Nach sechs Monaten war das Gelenk stabil genug, um die sogenannte Pollizisation vorzunehmen. Bei diesem handchirurgischen Operationsverfahren wird der Zeigefinger zum Daumen umfunktioniert. So soll dem kleinen Mädchen ermöglicht werden, Spielsachen, Stifte und weitere Gegenstände zu greifen. Während dieses Eingriffs entfernten Professor Wachter und seine Kollegen die zuvor eingesetzten Drähte und Nägel.

Die Arme werden verlängert

Der dritte Schritt ist die chirurgische Verlängerung der Arme, um möglichst viel Bewegungsfreiheit für Amal zu erreichen. Durch die Fehlbildung ist das Wachstum des Unterarms eingeschränkt. „Ohne Behandlung würde er zu kurz bleiben, während der Oberarm normal weiterwächst“, sagt Professor Wachter. Feine Bewegungen wären für Amal dann unmöglich. „Auch aus kosmetischer Sicht ist es keine Option, den Unterarm nicht zu behandeln.“

Daher durchtrennt der Handchirurg den Unterarmknochen seiner Patientin mit einem minimalinvasiven Zugang und stabilisiert die Knochen mit einem verschiebbaren Fixateur externe aus Metallstäben. Diese Metallstäbe überbrücken den künstlichen Bruch und sie lassen sich mit Hilfe eines Werkzeuges auseinander drehen. „Alle  zwei Tage wird der Fixateur externe um einen Millimeter auseinander gezogen.“ Der Knochen wird so angeregt neue Knochensubstanz zu bilden, um die Bruchstelle zu schließen. Stück für Stück wächst die Bruchstelle zusammen. „Den Arm können wir so um vier bis fünf Zentimeter verlängern.“ Die künstliche Verlängerung dauert bis zu einem halben Jahr; weitere zwei Monate benötigt der Knochen um stabil zu werden. So lange muss Amal beim Spielen mit ihren Geschwistern aufpassen und wildes Toben vermeiden. Denn das Metallgestell kann verrutschen und es können sich Entzündungen bilden. Der Verband wird auch deshalb alle zwei Tage gewechselt. „Die Herausforderung sind hierbei nicht die Knochen, sondern die Muskeln, Bänder und Sehnen. Sie lassen sich nur sehr schwer dehnen“, sagt er. Und diese Weichteile sind es auch, die Schmerzen verursachen - Amal erträgt sie tapfer.

Katharinenhospital

Klinik für Hand-, Plastische und Ästhetische Chrirugie


Ärztlicher Direktor
Prof. Dr. Nikolaus Wachter
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